Versorgungsplanung am Lebensende – Fachtag diskutiert Umsetzung von „Advance Care Planning“ in Deutschland

Am 25. und 26. Oktober fand im Zentrum für Gesundheitsethik die Tagung „Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase. Grundlagen, Erfahrungen, Perspektiven“ statt. Die gut besuchte und hochkarätig besetzte Fachveranstaltung wurde vom Zentrum für Gesundheitsethik (ZfG) in Kooperation mit der neugegründeten Deutschsprachigen interprofessionellen Vereinigung Behandlung im Voraus planen (DiV BVP) und dem Landesstützpunkt Hospizarbeit und Palliativversorgung Niedersachsen organisiert. Die zahlreichen Beiträge beleuchteten aus unterschiedlichen Perspektiven die konzeptionellen kulturellen, rechtlichen und praktischen Dimensionen von Advance Care Planning und regten zu kontroversen und konstruktiven Diskussionen an.

Die Tagung wurde von einem längeren Block über die Grundlagen von Behandlung im Voraus planen (BVP) eröffnet.  Prof. Dr. Georg Marckmann machte deutlich, dass es bei Behandlung im Voraus planen um nicht weniger als einen umfassenden Kulturwandel im deutschen Gesundheitssystem geht, bei dem die Idee der Patientenautonomie im Mittelpunkt steht.  Um den Patientenwillen auch in Situationen umsetzen zu können, in denen der Patient nicht mehr entscheidungsfähig ist, sei eine akkurate und verbindliche Vorausplanung nötig.

Das Herzstück von Advance Care Planning bilden dabei die strukturierten Gespräche, in denen das Wertebild und die Behandlungswünsche der PatientInnen ermittelt und anschließend dokumentiert werden. Prof. Dr. Jürgen in der Schmitten präsentierte das Modell-Curriculum der Task-Force „Advance Care Planning“, mit dem die GesprächsbegleiterInnen auf die Gesprächsführung vorbereitet werden sollen. Das 160-stündige Curriculum umfasst neben theoretischen Grundlagen zum Gesundheitssystem und Themen wie Sterben und Kommunikation auch praktische Gesprächsübungen mit Simulationspatienten und eine Abschlussprüfung. Dadurch soll eine qualitativ hochwertige Gesprächsbegleitung und Ermittlung der PatientInnenwünsche gewährleistet werden.

Dass es zwischen BVP und Palliativkultur zahlreiche Überschneidungen und Unterschiede gibt, machte Prof. Dr. Berend Feddersen deutlich. So seien beispielsweise die ganzheitliche Perspektive auf den Menschen und die Einbeziehung seiner An- und Zugehörigen in Entscheidungsprozesse wichtige Elemente von BVP und Palliativkultur. Dennoch dürfe man nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass mit der Implementierung von BVP automatisch eine Palliativkultur in die Einrichtungen getragen wird. Anhand eines Zaubertricks machte der Referent deutlich, dass BVP und Palliativkultur ineinander greifen können, aber die Größe der Schnittmenge in hohem Maße von der gelebten Praxis abhängig ist.

Die Einführung von BVP-Konzepten in das bestehende Versorgungssystem setzt in hohem Maße die Mitwirkung der zahlreichen anderen Versorgungsakteure voraus. Paul Hüster verdeutlichte in seinem Vortrag über „Projektkoordination und Change Management als ein Erfolgsfaktor bei der Implementierung von BVP“, wie wichtig eine wohl überlegte und gut strukturierte Netzwerkarbeit ist. Hierfür sind neben hochmotivierten „Burnern“ auch Konzepte aus dem strategischen Management hilfreich, um die guten Ideen in die Praxis umzusetzen. Genaue Situationsanalysen und realistische Zielsetzung seien nicht nur erfolgsversprechend, sondern bewahren auch vor Enttäuschungen im Netzwerk und dem Ausbrennen der „Burner“.

Einen Einblick in die Praxis der Gesprächsbegleitung wurde im letzten Teil des ersten Tages geboten. Jürgen in der Schmitten führte mit einem Veranstaltungsteilnehmer ein Erstgespräch und stellte eindrucksvoll dar, wie sich im Dialog die Werte, Einstellungen und Behandlungswünsche ermitteln lassen. Dabei wurde deutlich, wie wichtig und anspruchsvoll ein strukturierter Gesprächsprozess ist und welche Qualifikationen dabei auch von den Gesprächsbegleitern gefragt sind.

In drei parallelen Workshops wurden am zweiten Tag aktueller Stand, Herausforderungen und Tipps bei der regionalen Implementierung von BVP diskutiert. Beteiligte Personen aus Frankfurt, München und Göttingen präsentierten jeweils ihre BVP-Projekte und boten ein Forum zum Austausch. Dabei wurde deutlich, wie wichtig die Netzwerkarbeit mit den regionalen Akteuren ist, da der Erfolg von Behandlung im Voraus planen maßgeblich von deren Mitwirkung abhängt.

Eine große Unbekannte bei der Umsetzung sind bis heute die Rahmenvereinbarungen für die Umsetzung des §132g. Obwohl die Verhandlungen laut Hospiz- und Palliativgesetz bis Ende 2016 abgeschlossen sein sollten, liegen noch keine Ergebnisse vor. Dr. Daniel Brauer beleuchtete aus einer juristischen Perspektive, inwiefern der neue Paragraph im Sozialgesetzbuch einen Rahmen für die BVP-Projekte liefern kann. Es zeichnet sich dabei ab, dass eine umfassende Gegenfinanzierung von BVP (z.B. eine Koordinationsstelle) über den §132g eher nicht zu erwarten ist, wohl aber wichtige Finanzierungsquellen eröffnet und Qualifikationsanforderungen an GesprächsbegleiterInnen formuliert werden. Von daher hängt viele davon ab, welche konkreten Inhalte und Abrechnungsschlüssel von den Verhandlungspartnern oder ggf. auch einer Schiedsstelle festgelegt werden.

In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es vor allem um die praktische Umsetzung und Einbettung von BVP in die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems. Inwiefern kann BVP an bestehende Institutionen angedockt werden? Wie können die Hausärztinnen und Hausärzte zur Teilnahme motiviert werden? Welche Voraussetzungen müssen in Altenpflegeeinrichtungen erfüllt sein, damit BVP gut funktioniert? Die DiskutantInnen kamen darin überein, dass der Weg zur Implementierung von BVP-Strukturen in Deutschland noch weit und mühsam ist, aber eine verlässliche Versorgungsplanung den hohen Aufwand rechtfertigt.

Im abschließenden Tagungsfazit resümierten Prof. Dr. Friedemann Nauck und Dr. Michael Coors die Inhalte und den Verlauf der Veranstaltung. Es sei einerseits klar geworden, wie viele Aspekte für eine gute, verlässliche und valide gesundheitliche Versorgungsplanung am Lebensende zu bedenken sind, aber das es andererseits hierzu auch keine einfach Alternative gebe. BVP stelle sicher, dass der Wille von Menschen am Lebensende befolgt werde, selbst wenn diese nicht mehr selbst entscheiden können. Hierfür sei ein grundlegender Kulturwandel im deutschen Gesundheitssytem notwendig, für den diese Tagung einen motivierenden Impuls gegeben hat.