Dem Tod ins Gesicht gesehen! Inklusiver Fachtag über das Sterben bei Hildesheim

Wie fühlt sich Trauer an? Wie klingt Abschied? Wie liegt es sich in einem Sarg? Am 5. Juli 2022 haben sich über 100 Bewohner*innen und Mitarbeitende aus der Eingliederungshilfe, aus Hospizvereinen und Gesundheitsberufen in der Heimstatt Röderhof (bei Hildesheim) über das Sterben ausgetauscht. Der maßgeblich von den Betroffenen gestaltete Tag eröffnete zahlreiche Möglichkeiten, sich mit allen Sinnen auf die letzte Lebensphase einzulassen. Der Landesstützpunkt Hospizarbeit und Palliativversorgung Niedersachsen (LSHPN) hat die Veranstaltung gemeinsam mit der Niedersächsischen Arbeitsgruppe Hospizarbeit und Palliativversorgung für Menschen mit Beeinträchtigung und der Heimstatt Röderhof organisiert.

Nach den Grußworten von Winfried Büscher (Leitung Heimstatt Röderhof), Sandra Stein (Referentin der Landesbehindertenbeauftragten) und Sven Schwabe (Landesstützpunkt Hospizarbeit und Palliativversorgung Niedersachsen, Niedersächsische Arbeitsgruppe „Hospizarbeit und Palliativversorgung für Menschen mit Beeinträchtigungen“) eröffnete die Moderatorin des Tages, Marion Frohn (Behindertengemeinschaft Bonn) die Veranstaltung mit einer musikalischen Mitmach-Trauer-Darbietung. Zu den Klängen der von Depeche Mode interpretierten Mondscheinsonate bewegten die Teilnehmende farbige Bänder, Tränen und Blumen im Raum, die die mannigfaltigen Gefühle eines Verlustes symbolisieren. Vom Herzschmerz über die Wut bis zur Hoffnung wurden Stimmungen im Trauerprozess ganz unmittelbar erlebbar.

In der anschließenden Workshopphase konnten die Teilnehmenden zwei von insgesamt 5 Themen wählen.

Wer einmal ausprobieren wollte wie es ist, sich in einen Sarg zu legen, war im Workshop von Jan Möllers und Ulli gut aufgehoben. Bei entspannter Musik konnte man sich in achtsamer Atmosphäre in einen Holzsarg in der Mitte des Raumes begeben und sogar den Deckel schließen lassen.

Am Ende des Lebens möchten viele Menschen noch einmal ihren Lieblingsgeschmack erleben, ihre Lieblingsmusik hören oder ihren Lieblingsduft riechen. Im Workshop von Michaela Aselmeyer, Johanna Schmidtkunz und Ulrike Buerschaper-Langer haben die Teilnehmenden bei Ahoi-Brause das Gesicht verzogen, ein ambivalentes Verhältnis zu Rosenduft entwickelt und bei Tönen aus der Klangschale die Gedanken kreisen lassen.

Manchmal ist es schwer, mit Mitarbeiter*innen der Eingliederungshilfe oder den eigenen Angehörigen über das Sterben zu sprechen, weil sie die Bewohner*innen schonen und nicht überfordern möchten. Wie man trotzdem miteinander ins Gespräch kommen kann war das Thema des Workshops von Melanie Ludwig. Der Tod wurde als ungebetener Gast bezeichnet, auf den man sich am besten vorbereitet, wenn man über ihn sprechen kann.

Bei Kaffee, Keksen und Kuchen redet es sich leichter – über fast alles. Diese Erfahrung konnten auch die Teilnehmenden im Death-Café von Andrea Zimmermann machen. An verschiedenen Themen-Tischen kamen eigene Vorstellungen, Wünsche und Erfahrung mit dem Tod auf den Tisch und wurden in lauschiger Atmosphäre ausgetauscht – und das schmeckt manchmal gar nicht so bitter.

Unter die Erde? In der Luft? In die See? Oder als Dünger für einen Baum? Im Workshop von Claudia Liebau sprachen die Teilnehmenden darüber, was nach dem Tod mit den eigenen Überresten geschieht – und was lieber nicht. Mit Lego und Playmobil konnte die eigene Beerdigung vorgespielt werden, es wurde die Gradzahl im Krematorium erfragt und darüber diskutiert, wie es sich für die Überlebenden wohl anfühlt, wenn ihnen aus dem Flugzeug die Asche von Verstorbenen entgegenfällt.

Am Ende des Tages kam der Tod in Gestalt einer Puppe höchstpersönlich zu Besuch. Mit der Stimme des Puppenspielers Olaf Möller beschwerte sich Gevatter Tod zunächst darüber, dass man zwar heute viel Negatives über ihn gesagt habe, aber gar nicht mit ihm gesprochen worden sei. Er präsentierte sich dagegen als ein sensibler und weicher Geselle, der mit seinem Besuch oft so lange warte, bis der Enkel noch von Opa Abschied genommen hat. Manchmal wundere er sich auch über die Menschen, die sich ihr ganzes Leben vor ihm fürchten. Er klopfe ja nur an einem Tag im Leben an ihrer Tür, all die anderen Tage nicht.

Der Tag hat gezeigt: Gemeinsam über das Sterben zu sprechen kann traurig sein, es kann wehtun, es kann wütend machen, es kann lustig sein, es kann bitter schmecken, aber auch süß, es kann nachdenklich machen und spielerisch sein. Gemeinsam über das Sterben zu sprechen kann aber vor allem wertvoll sein: für alle, die Fragen haben; für alle, die Ängste haben; für alle, die neugierig sind; für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, für jüngere und ältere Menschen, für alle.

Wir bedanken uns bei allen Unterstützer*innen und Teilnehmenden für diesen intensiven und wertvollen Tag!