Am 21.04.21 fand das Vernetzungstreffen zur Gesundheitliche Versorgungsplanung (GVP) für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen mit 90 Teilnehmer*innen statt. Die Niedersächsische Arbeitsgruppe „Hospizarbeit und Palliativversorgung für Menschen mit Beeinträchtigungen“, das Zentrum für Gesundheitsethik (ZfG) und der Landesstützpunkt Hospizarbeit und Palliativversorgung Niedersachsen (LSHPN) hatten zu einem gemeinsamen Austausch über Erfahrungen und Herausforderungen eingeladen, der aufgrund der Corona-Situation online durchgeführt wurde.
In Ihrer Begrüßung erläuterten Dr. Dorothee Arnold-Krüger (ZfG), Andrea Zimmermann (Niedersächsische Arbeitsgruppe) und Dr. Sven Schwabe, dass dieser Fachtag eine Zusammenführung von wichtigen Themen der gemeinsamen Arbeit in den letzten Jahren darstellt. Es habe sich gezeigt, dass sich die Erfahrungen von und die Anforderungen an GVP-Begleitungen in der Eingliederungshilfe von dem Setting der Pflegeeinrichtungen unterscheiden. So nehmen beispielsweise Fragen der gesetzlichen Vertretung, der unterstützenden Kommunikation und der Einwilligungsfähigkeit in der Eingliederungshilfe tendenziell einen größeren Raum ein und erfordern entsprechende Kompetenzen und Erfahrungen der Berater*innen. Andererseits kann GVP auch wichtige Impulse in die Organisationen der Eingliederungshilfe geben, zum Beispiel zur Selbstbestimmung, Teilhabe und zur Thematisierung von Sterben, Tod und Trauer.
In Ihrem Eröffnungsvortrag gab Dr. Sabine Petri (Caritasverband der Erzdiözese München und Freising) einen umfassenden Über- und Einblick in aktuelle Bedingungen, Möglichkeiten und Erfahrungen von GVP in der Eingliederungshilfe in Deutschland. Dabei stellte sie die besonderen Anforderungen an den Beratungsprozess bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen dar, an die Organisationen der Eingliederungshilfe sowie die regionale Vernetzung. So sollten beispielsweise die GVP-Begleiter*innen in diesem Setting zusätzlich Erfahrungen in unterstützender Kommunikation und Bereitschaft zur Vernetzung mitbringen, während die Einrichtungen die Implementierung von GVP als Projekt verstehen sollten, mit konkretem Projektteam, Klärung von Abläufen, Informationen an alle Mitarbeitenden sowie Mechanismen der Qualitätssicherung.
Rechtsanwältin Ingrid Alsleben (Die Vorsorge-Kanzlei, Gifhorn) erläuterte anschließend die rechtlichen Grundlagen von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. Anhand konkreter Beispiele verdeutlichte sie anschaulich, wie Patientenverfügungen gestaltet sein müssen, damit sie rechtlich bindend sind und von Behandler*innen berücksichtigt werden. Dabei wurde deutlich, dass Einwilligungs-, bzw. Einsichtsfähigkeit eine wichtige Voraussetzung für die Erstellung von Patientenverfügungen darstellt und diese auch bei vielen Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen erfüllt sei. Zugleich betonte sie die Aufgaben der gesetzlichen Vertretung bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens und der Mitwirkung an GVP.
Eine kritische Perspektive auf die Gesundheitliche Versorgungsplanung richtete Anne Volmering-Dierkes (Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung Köln), indem sie den Diskurs zu GVP in Deutschland beleuchtete. Über einen langen Zeitraum hinweg wurde Advance Care Planning (ACP) in einem medizinisch dominierten Diskurs primär als Ermöglichungsinstrument für Selbstbestimmung in der letzte Lebensphase beschrieben. In den Hintergrund tritt dabei, dass Selbstbestimmung nicht unabhängig gedacht werden kann, sondern förderliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen braucht, die derzeit nicht immer erfüllt sind (z.B. Fachkräftemangel in der Pflege, Ökonomisierung im Gesundheitsweisen). Insbesondere in der Eingliederungshilfe sei ein Klima der für-sorgenden Gemeinschaften wichtig, damit ACP ohne sozialen Druck, ergebnisoffen und empathisch den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
In den nachmittäglichen Workshops wurden wichtige Aspekte in Kleingruppen vertieft. Claudia Liebau (Rotenburger Werke) stellte Materialien zur unterstützenden Kommunikation vor und diskutierte mit den Teilnehmer*innen über Möglichkeiten und Grenzen der GVP-Kommunikation mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Dr. Johannes Reisch (Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychosomatische Medizin und Palliativmedizin, Gifhorn) zeigte anhand eines praktischen Beispiels, wie eine gute GVP-Begleitung mit Vertreter-Dokumentation funktionieren kann. Andrea Zimmermann (Diakonie Himmelsthür, Hildesheim) beriet mit den Teilnehmenden über Herausforderungen und gute Erfahrungen bei der Implementierung von GVP in der Einrichtung.
In einer abschließenden Gruppendiskussionen wurden Strategien und Tipps zur Ermöglichung von GVP in Pandemiezeiten gesammelt:
- Durchführung von GVP-Beratungen in Vollschutz-Anzügen oder mit Plexiglasscheiben
- Durchführung von GVP-Beratungen im Freien, z.B. im Garten oder auf dem Außengelände
- Nutzung von digitaler Kommunikation (Videokonferenzen, Messenger mit Videotelefonie, Telefon), insbesondere in der Kommunikation mit Angehörigen und rechtlichen Vertreter*innen, zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens und zur Erstellung der Vertreterdokumentation
- Zeit nutzen, um GVP bei den Mitarbeitenden in der Einrichtung bekannt zu machen (Informationsmaterialien erstellen; Fortbildungen in Kleingruppen)
- Frühzeitige Impfung der GVP-Begleiter*innen erwirken
- Austausch mit anderen GVP-Gesprächsbegleiter*innen, z.B. in dem bundesweiten Netzwerk: https://www.hospiz-palliativ-nds.de/wp-content/uploads/2020/08/Flyer-Netzwerk-Gespr%C3%A4chsbegleiterinnen-in-Eingliederungshilfe.pdf
Angesichts der zahlreichen Hürden (Kontaktverbote, Zugangsbeschränkungen, teilweise schwierige Erreichbarkeit der Hausärzte, andere Prioritätensetzung in den Einrichtungen) ist die Durchführung von GVP während der COVID-19-Pandemie erheblich erschwert.
Die Tagung machte deutlich, dass GVP in der Eingliederungshilfe mit zahlreichen spezifischen Herausforderungen und Erfahrungen verbunden ist. Diese zu thematisieren und im gemeinsamen Austausch nach guten Lösungen zu suchen, wird eine der wichtigen Aufgaben der nächsten Jahre sein.